Unfallversicherungsschutz
Von Wegen, Umwegen und Abwegen
Nicht nur Unfälle an Einsatzstellen, im Feuerwehrhaus oder bei der Aus- und Fortbildung an Landesfeuerwehrschulen o.ä. Einrichtungen sind bei den Feuerwehr-Unfallkassen versichert, sondern auch die Wege nach und von dem „Ort der versicherten Tätigkeit“ stehen unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Das war nicht von Anfang an so.
Erst im Jahre 1925 wurden die so genannten Wegeunfälle in die damalige Reichsversicherungsordnung (RVO) aufgenommen. Noch heute wird diese Ausweitung des Versicherungsschutzes bei den Unternehmern diskutiert, wenn es um die Senkung der Lohnnebenkosten geht. Aus diesem Grunde musste das Bundessozialgericht (BSG) Ende 2008 erneut feststellen, dass der Weg nach und von der Arbeit nicht aus rein privaten Interessen, sondern wegen der versicherten Tätigkeit, also mit einer auf die versicherte Tätigkeit bezogenen Handlungstendenz, unternommen wird. Die Wegeunfallversicherung schützt also Leben und Gesundheit der Feuerwehrangehörigen, die sich auf einem unmittelbaren Hin- oder Rückweg zum oder vom Feuerwehrdienst befinden. Allerdings müssen die „Spielregeln“ auch eingehalten werden. So ist es nicht verwunderlich, dass der Gesetzgeber im Laufe der Jahre das heutige Sozialgesetzbuch (SGB) immer wieder nachgebessert hat, um derLebens- und Arbeitswirklichkeit zu entsprechen.
Ilona Matthießen im Interview
IIona Matthiesen, Sachgebietsleiterin der Hanseatischen Feuerwehr-Unfallkasse Nord (HFUK Nord), hat Ende letzten Jahres anlässlich des Kommunalforums der HFUK Nord in Lübeck ein vielbeachtetes Referat zu diesem Thema gehalten. FUK-DIALOG hat bei ihr noch einmal nachgehakt:
FUK-DIALOG: Frau Matthiesen, wie wir ihren Ausführungen auf dem Kommunalforum entnehmen konnten, stellen die Feuerwehr-Unfallkassen einen umfassenden Schutz gegen Unfälle auf Wegen bereit. Ist das so gewollt?
Ilona Matthiesen: Generell kann ich sagen ja, es ist so und für die Angehörigen der Freiwilligen Feuerwehren umso mehr. Allerdings müssen die vorgegebenen „Spielregeln“ eingehalten werden.
FUK-DIALOG: Welche „Spielregeln“ meinen Sie?
Ilona Matthiesen: Nun, die Unternehmer, damit auch die Gemeinden als Trägerinnen des Brandschutzes, übernehmen tatsächlich fast sämtliche Risiken, die Feuerwehrangehörige auf Wegen treffen können. Und zwar unabhängig davon, ob jemand zu Fuß, auf dem Fahrrad, mit dem Pkw oder Skateboard am öffentlichen Verkehr teilnimmt. Auch wird der Versicherungsschutz unabhängig davon gewährt, ob der Unfall aus eigenem oder Fremdverschulden verursacht wurde oder die Unfallursache in der Beschaffenheit des Verkehrsmittels (Mängel) gelegen hat. Selbst die zurück gelegte Wegstrecke – ob 50, 500 oder 5.000 Meter – ist in erster Linie nicht entscheidend. Verlangt wird jedoch immer ein innerer (sachlicher) Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, also dem Feuerwehrdienst. Auch wenn der Weg zu einer Ausbildungsstätte 50, 100 oder 1.000 Kilometer beträgt, besteht auf dem „unmittelbaren“ Weg Versicherungsschutz.
FUK-DIALOG: Was heißt jetzt „unmittelbarer“ Weg?
Ilona Matthiesen: Wie jede versicherte Tätigkeit verlangt auch das Zurücklegen eines Weges einen sachlichen Bezug zum Feuerwehrdienst. Dies können Einsätze, übungen und Ausbildungsveranstaltungen ebenso sein wie auch Vorstandssitzungen oder das Sammeln von Mitgliedsbeiträgen. Darüber hinaus wird gefordert, dass es sich nicht wie früher um einen „direkten“, sondern um einen „unmittelbaren“ Weg handelt. Der direkte Weg wäre eine Gerade zwischen zwei Punkten, die im wirklichen Leben nur schwer einzuhalten ist. Verlängert sich der Weg von Feuerwehrangehörigen durch objektive, insbesondere verkehrsbedingte Gegebenheiten (Umleitungen, Umfahren eines Staus), handelt es sich immer noch um einen unmittelbaren Weg.
FUK-DIALOG: Dann sind Umwege auch versichert?
Ilona Matthiesen: So einfach ist es nicht. Für Umwege und Abwege gelten andere Kriterien, die für den Verssicherungsschutz ausschlaggebend sind. Umwege und Abwege sind generell nicht versichert. Während sich der unmittelbare Weg aus der augenblicklichen äußeren Situation heraus verlängern kann, sind Umwege oder auch Abwege geplant bzw. setzen eine andere Handlungstendenz der bzw. des Feuerwehrangehörigen voraus. Ein Umweg ist beispielsweise dann versichert, wenn mehrere Feuerwehrangehörige eine Fahrgemeinschaft bilden, um in der Feuerwehrtechnischen Zentrale an einem Lehrgang teilzunehmen. Befindet sich der bzw. die Feuerwehrangehörige auf einem Abweg, d.h. er oder sie fahren weiter als zum Feuerwehrhaus oder zur eigenen Wohnung, erlischt der Unfallversicherungsschutz, weil kein sachlicher Zusammenhang zum Feuerwehrdienst mehr gegeben ist.
FUK-DIALOG: Hätten Sie dafür ein Beispiel?
Ilona Matthiesen: Ein gutes Bespiel dafür, dass es nicht dasselbe ist, wenn zwei das Gleiche tun, ist der Heimweg zweier Feuerwehrangehöriger. Nach dem Dienst gehen Feuerwehrmann A. und Feuerwehrmann B. gemeinsam nach Hause. Beide wohnen in der gleichen Straße. Als sie vor dem Haus von A. angekommen sind, fordert B. seinen Kameraden auf, bei ihm noch einen „Absacker“ zu trinken. A. willigt ein und marschiert weiter zum Haus von B. Noch bevor sie das Haus von B. erreichen, werden Sie von einem Pkw angefahren. Beide werden erheblich verletzt. Der Fahrer begeht Unfallflucht. Die Verletzungen von B. wurden als Arbeitsunfall anerkannt, weil er sich noch auf dem (unmittelbaren, direkten) Heimweg befand. Die Verletzungen von A. konnten nicht anerkannt werden, weil er sich zum Unfallzeitpunkt bereits auf einem Abweg befand. Er hatte sein Ziel schon passiert. Hier sind Meter entscheidend!
FUK-DIALOG: Wird denn das so genau ermittelt?
Ilona Matthiesen: Davon können Sie ausgehen. Natürlich gibt es eine unterschiedliche Qualität des Feststellungsverfahrens. Dies hängt beispielsweise mit der Schwere der Verletzung zusammen oder ob es einen Verursacher gibt. In meinem Beispiel konnte der Unfallflüchtige später ermittelt werden. Die HFUK Nord konnte ihre Aufwendungen bei der Haftpflichtversicherung des Verursachers geltend machen. Manchmal steckt schon ein bisschen kriminalistisches Gespür hinter unseren Ermittlungen.
FUK-DIALOG: Im Zusammenhang mit dem Abweg hatten Sie ausgeführt, dass der Versicherungsschutz erloschen war, weil der Feuerwehrmann A. sein Ziel schon passiert hatte. Gibt es eigentlich auch einen festgelegten Beginn des Weges?
Ilona Matthiesen: Das ist ein weites Feld. Tatsächlich verlangt der Gesetzeswortlaut nur, dass der „Weg“ entweder zum Ort der Tätigkeit oder von diesem Ort führt. Der andere Grenzpunkt des Weges ist gesetzlich nicht festgelegt. In der Regel ist dieser jedoch der nicht versicherte „häusliche Bereich“, sprich die eigene Wohnung oder das eigene Wohnhaus. Deshalb beginnt und endet der Versicherungsschutz generell mit dem Durchschreiten der Außenhaustür des vom Feuerwehrangehörigen bewohnten Gebäudes. Auch hier kommt es wieder auf Meter an. Kommt ein Versicherter im häuslichen Bereich auf der Treppe vor der Außenhaustür ins Stolpern, durchbricht im Fall die Glasfüllung der Tür und zieht sich vor der Tür erhebliche Schnittwunden an den Glassplittern zu, ist dies ein Wegeunfall, weil das Verletzungsgeschehen außerhalb des Gebäudes liegt.
FUK-DIALOG: Für normale Arbeitnehmer, die ihren täglichen Weg zur Arbeit planen können, leuchtet das ein. Feuerwehrangehörige werden jedoch rund um die Uhr ohne „Vorwarnung“ alarmiert. In der Regel ist höchste Eile geboten. Gelten in diesem Fall die gleichen Bestimmungen?
Ilona Matthiesen: Der Alarmfall ist nicht der Normalfall. Feuerwehrangehörige sind ab dem Zeitpunkt versichert, ab dem sie auf die Alarmierung aufmerksam werden. Früher war es die Feuersirene, heute sind es vielfach die Funkmeldeempfänger. So wie die Feuerwehr im Straßenverkehr Sonder- und Wegerechte hat, um schnelle Hilfe leisten zu können, wird auch der Unfallversicherungsschutz im Alarmfall auf den „häuslichen Bereich“ ausgedehnt. Stolpert die Einsatzkraft also über den Spielzeuglastwagen im Flur der Wohnung und zieht sich beim Sturz einen Handgelenksbruch zu, wird dies von der HFUK Nord als Wegeunfall anerkannt. Auch wir wissen, dass Feuerwehrangehörige immer denken zu langsam zu sein, wenn die Alarmierung erfolgt ist. Zum Unfallzeitpunkt ist der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gegeben. Anders sieht es aus, wenn beispielsweise eine Feuerwehrangehörige oder ein Feuerwehrangehöriger zur Wochen vorher angesetzten Jahreshauptversammlung der Feuerwehr will, die für 19:00 Uhr angesetzt ist. Hier fehlt das überraschungsmoment. Die Person weiß Bescheid und kann ihren Weg planen. In diesem Fall beginnt der Versicherungsschutz wieder mit dem Durchschreiten der Außenhaustür.
FUK-DIALOG: Gibt es weitere Situationen, in denen der Unfallversicherungsschutz gefährdet sein könnte?
Ilona Matthiesen: Davon gibt es selbstverständlich eine Fülle. Sie erschöpfend aufzuzählen, würde den Rahmen des Interviews sprengen. Jedoch möchte ich noch auf den Tatbestand der „Unterbrechung“ und der „Lösung“ von der versicherten Tätigkeit hinweisen. Auch Feuerwehrleute wollen ihre Aufgaben möglichst rationell erledigen. So bleibt es nicht aus, dass auf dem Weg zum Feuerwehrdienst noch schnell Kleidungsstücke in die Reinigung gebracht werden oder ein Päckchen im Post-Shop des Supermarktes abgegeben wird. Diese kurzen privaten Unterbrechungen lassen genau für diesen Zeitraum auch den Unfallversicherungsschutz erlöschen. Passiert während dieser „Ich-wollte-doch-nur-mal-kurz-Unterbrechung“ ein Unfall, sind die gesetzliche Krankenkasse und die private Unfallversicherung zuständig.
Bei der „Lösung“ sieht es ähnlich aus. Jeder Feuerwehrdienst hat einen offiziellen Beginn und ein offizielles Ende. Diese Zeiten lassen sich bei Einsätzen genau ermitteln. Bei Versammlungen und Sitzungen bestimmt der/die Versammlungsleiter/in den Beginn mit der Begrüßung und das Ende mit der offiziellen Verabschiedung. Wenn Kameraden auf dem begonnenen Heimweg die Aussprache noch in einer Gaststätte fortführen wollen, wird der Unfallversicherungsschutz für die Dauer des Aufenthaltes in der Gaststätte unterbrochen. Mit Fortführung des unmittelbaren Heimweges lebt der Unfallversicherungsschutz wieder auf. Jedoch gibt es auch hier eine zeitliche Grenze. überschreitet die Unterbrechung in der Gaststätte einen Zeitraum von zwei Stunden - so das Bundessozialgericht - fehlt die wesentliche sachliche Verbindung mit der versicherten Tätigkeit.
FUK-DIALOG: Haben Sie zum Schluss noch einen Tipp für die Feuerwehrangehörigen und die Wehrleitungen?
Ilona Matthiesen: Wie Sie gesehen haben, ist die Handlungstendenz eines bzw. einer Versicherten zum Unfallzeitpunkt von entscheidender Bedeutung. Feuerwehrleute haben immer ein Amt (z.B. Gerätewart, Wehrleiterin) oder einen Auftrag. Gerade in der Freiwilligen Feuerwehr werden jedoch Geräte besorgt oder Aufgaben erledigt, für die es keinen „Fahrbefehl“ gibt. Hier wäre es klug, den Wehrführer oder Gruppenführer kurz davon zu unterrichten (Telefon, SMS, Whats-App), bevor man sich auf den Weg macht. Den Wehrleitungen kann ich nur raten, bei schwereren Unfällen zum Telefon zu greifen und sich Rat bei der HFUK Nord einzuholen.
Ansicht
Versicherungsschutz maßgeschneidert
Der gesetzliche Unfallversicherungsschutz für Feuerwehrangehörige ist maßgeschneidert. Dies gilt auch bei Wegeunfällen. Die Feuerwehr-Unfallkassen berücksichtigen bei ihren Entscheidungen seit jeher die Besonderheiten des Dienstes in den Freiwilligen Feuerwehren. Davon kann ich mich als Mitglied der Vertreterversammlung regelmäßig überzeugen.
Wie das Interview zum Schwerpunktthema zeigt, ist es gar nicht so einfach, bei Wegen zwischen dienstlichem und privatem Anteil zu trennen. In kurzer Zeit soll viel erledigt werden. Wer denkt schon an den Unfallversicherungsschutz, wenn er oder sie es eilig hat. Und wenn manchmal wenige Meter über den Unfallversicherungsschutz entscheiden, sollte die Wehrführung schon wissen, wo ihre Kameradinnen und Kameraden mit welchen Aufträgen unterwegs sind. Denn beim Unfall wird nicht die Frage gestellt, wie der Weg zurückgelegt wurde, sondern warum. War es dienstlich oder privat? Wenn niemand Bescheid wusste und der bzw. die Feuerwehrangehörige tödlich verunglückt ist, gilt in der Regel der Beweis des ersten Anscheins. Da könnte es für die Hinterbliebenen schon hilfreich sein, wenn zum Unfallzeitpunkt Uniform getragen wurde. Abschließend ist festzustellen, dass die Wehrführungen über jegliches Handeln und Tun in ihren Freiwilligen Feuerwehren die Verantwortung tragen, auch bei möglichen Wegeunfällen. Deutlich formulierte und kommunizierte Arbeitsaufträge erleichtern die Anerkennung eines möglichen Wegeunfalls.