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Begutachtung im Leistungsrecht

Wenn Expertise gefragt ist

Gutachter bei der Arbeit
Gutachter bei der Arbeit: Privatdozent Dr. med. Christian Tesch betrachtet eine Röntgen-Aufnahme | Foto: Lars Frank

Zur Gewährung von Leistungen durch die Feuerwehr-Unfallkassen bedarf es in manchen Fällen der Einholung eines medizinischen Gutachtens. Eine besondere soziale Bedeutung kommt der Sachverständigentätigkeit von Ärztinnen und Ärzten zu. Für die Verletzten, Berufserkrankten oder deren Hinterbliebene sind gutacherliche Feststellungen von großer Bedeutung. Deswegen haben die Unfallversicherungsträger auf die Qualität der ärztlich-medizinischen Begutachtung immer schon ein besonderes Augenmerk gerichtet. In dieser Ausgabe beschäftigen wir uns intensiv mit diesem Thema.

„Wer bezahlt, bestimmt?“ oder „Wer bezahlt, bestimmt, was gespielt wird?“ So ähnlich argumentieren Versicherte oder ihre Anwälte, wenn sie mit dem Ergebnis eines für sie entscheidenden Gutachtens nicht einverstanden sind. Vielfach schwingt ein unterschwelliges Misstrauen gegenüber dem von der Feuerwehr-Unfallkasse beauftragten Gutachter mit, wenn am Ende der medizinische Sachverständige nicht zu dem erhofften positiven Ergebnis gelangt. „Typisch Versicherung“ oder „Der Unfallversicherungsträger kauft sich seine Gutachter“, heißt es dann. Ist es wirklich so? Dieser Beitrag soll zur Aufklärung und Versachlichung der Diskussion beitragen.

Gutachter untersucht Patienten
Foto: Lars Frank

In der gesetzlichen Unfallversicherung ist die überwiegende Zahl der im Feststellungsverfahren erstatteten fachärztlichen Gutachten grob in zwei Arten zu unterteilen: Erstens die Gutachten, die sich mit dem ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Körperschaden befassen und zweitens, diejenigen Gutachten, die sich mit der Frage beschäftigen, welche Verletzungsfolgen nach der Rehabilitation dennoch auf Dauer verblieben sind.

Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung – und damit auch die Feuerwehr-Unfallkassen – sehen sich manchmal mit dem Vorwurf konfrontiert, dass sie auf Kosten ihrer Versicherten sparen wollen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen sind als einzige Sozialversicherungsträger vom Gesetzgeber aufgefordert, mit „allen geeigneten Mitteln“ Unfälle zu verhüten und mit dem gleichen Einsatz für eine optimale medizinische und berufliche Rehabilitation zu sorgen. Bei jeder Versicherten und jedem Versicherten ist die Wiedereingliederung in den alten Beruf oder eine Umschulung in einen gleichwertigen Beruf das oberste Ziel. Dabei kann die berufliche Rehabilitation auch einen höheren Abschluss zur Folge haben. Sprich, beispielsweise wird aus dem Bautechniker ein Bauingenieur.

Die Wünsche der Versicherten, dass nach dem Unfall möglichst wenige Unfallfolgen zurück bleiben, decken sich mit den Zielen der Feuerwehr-Unfallkassen. Können bleibende funktionelle Körperschäden auch nach einer medizinischen Rehabilitation nicht mit allen geeigneten Mitteln verhindert werden, dann kann zum bisherigen Arbeitsplatz nicht immer zurückgekehrt werden, was in der Regel zu einem Minderverdienst führt. Dieser ist vom Unfallversicherungsträger mit Rentenleistungen auszugleichen. Dabei gilt der Grundsatz, dass die oder der Versicherte wirtschaftlich so zu stellen ist, als sei der Unfall nicht eingetreten.

Die Wiederherstellung bzw. weitestgehende Erreichung des ursprünglichen Gesundheitszustandes ist sowohl für die Feuerwehr- Unfallkassen, als auch für die Versicherten von größerem Vorteil. Aus diesem Grunde lassen die Unfallversicherungsträger bei der Verhütung von Unfällen und in der optimalen Versorgung Unfallverletzter auch nicht locker. So werden bundesweit auf Unfälle und Berufskrankheiten spezialisierte Kliniken von der gesetzlichen Unfallversicherung unterhalten.

Wie schon dargestellt, soll die medizinische Rehabilitation mit „allen geeigneten Mitteln“ durchgeführt werden. Wenn also eine Therapie teuer, aber vielversprechend ist, soll sie nicht an den Kosten scheitern. Und die Rehabilitation wird erst dann beendet, wenn die oder der jeweilige Versicherte genesen oder austherapiert ist, d.h. die medizinischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind.

Nach Abschluss der Heilbehandlung müssen die unfallbedingten Verletzungsfolgen objektiv festgestellt werden. Deshalb muss eine klare Abgrenzung zu den Gesundheitsschäden, die vor dem Unfall bestanden haben, erfolgen. Dies ist die Stunde der Gutachter. Selbst erfahrene Sachbearbeiter der Feuerwehr-Unfallkassen können die Mediziner nicht ersetzen. Deshalb müssen sie verschiedene Fachärzte einschalten, die in dem Feststellungsverfahren als Sachverständige zum Einsatz kommen. Dies sind z.B. Unfallchirurgen, Orthopäden, Neurologen, Psychologen oder Arbeits- und Sportmediziner. Sie sollen den Ist-Zustand bewerten und den Grad der „Minderung der Erwerbsfähigkeit“ (MdE) einschätzen. Der Grad der MdE ist deshalb so wichtig, weil ab 20% MdE eine laufende Versichertenrente von der gesetzlichen Unfallversicherung gezahlt wird. Und weil diese Begutachtung für Versicherte so wichtig ist, werden die Versicherten an der Auswahl der Gutachter beteiligt.

Nicht die FUK bestimmt den Gutachter

Nicht die FUK bestimmt den Gutachter, sondern sie schlägt für den konkreten Fall drei geeignete Gutachter vor. Dabei handelt es sich in der Regel um besonders erfahrene Fachärzte oder den Chefarzt eines Krankenhauses oder einer Universitätsklinik. Selbstverständlich können Versicherte auch einen Arzt ihres Vertrauens benennen. Einzige Bedingung: Er muss über die erforderlichen Fachkenntnisse verfügen. Die letzte Entscheidung trifft somit die/der Versicherte. Die FUK übernimmt die organisatorische Abwicklung.

Nachuntersuchung durch den Gutachter

Hierzu gehört natürlich, dass dem Gutachter die Unfallanzeige, die Untersuchungsergebnisse zum Unfallgeschehen sowie sämtliche bereits ergangenen Arztberichte über die gesamte Heilbehandlung vorgelegt werden. Dann erfolgen ein gesondertes Gespräch und eine eingehende Untersuchung durch den Gutachter. Nach „Aktenlage“ wird nicht entschieden. Für den Tag der Nachuntersuchung gewährt die FUK Verdienstausfall, Fahrtkosten und ein Tagegeld nach Bundesreisekostengesetz (BRKG).

Wie bewertet die Gutachterin bzw. der Gutachter?

Die Höhe bzw. der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ist durch den Gutachter als Mediziner einzuschätzen. Anders als bei privaten Unfallversicherungen geht es bei Arbeitsunfällen nicht nach der so genannten Gliedertaxe, d.h. bei Verlust oder vollständigem Funktionsverlust eines Daumens werden nach der Taxe als Invaliditätsentschädigung 20% der Versicherungssumme gezahlt. Die MdE ist nicht nur auf den erlittenen Gesundheitsschaden beschränkt, sondern auch auf das gesamte berufliche Umfeld zu projizieren. Der Gutachter muss konkret einschätzen, welche Berufe und Tätigkeiten die bzw. der Versicherte infolge der Unfallverletzung nicht mehr ausüben kann. Wenn die gesamte Berufswelt für 100% steht, ergibt die Einschränkung von 150 Tätigkeiten und Berufen etwa 20% MdE. Ausschlaggebend ist die Frage, welche Berufe und Tätigkeiten noch für den Rest des Arbeitslebens vollschichtig ausgeübt werden können.

Unfallfolge und Vorschaden

Die so genannten „Vorschäden“ werden ebenso festgestellt wie die unfallbedingten Gesundheitsschäden. Spätestens mit dem 30. Lebensjahr beginnen im menschlichen Körper sogenannte degenerative Prozesse, d.h. die körperliche Leistungsfähigkeit sinkt. Im Laufe der Jahre kommt ein „Zipperlein“ zum anderen, es treten Abnutzungserscheinungen z.B. in den Gelenken auf. Über Sechzigjährige, die noch topfit sind, findet man selten. Die meisten haben aus der Sicht der Mediziner einen unfallunabhängigen Vorschaden oder sogar mehrere. Erst wenn die tatsächlichen Unfallfolgen festzustellen sind, muss genau unterschieden werden. Wie war der Gesundheitszustand vor dem Unfall und wie nachher? Hier ist wieder der medizinische Sachverständige mit seinem Fachwissen gefragt. Vom „grünen Tisch“ aus wird seitens der Verwaltung nicht entschieden.

Am Ende kommt der Bescheid

Wie in jedem Verwaltungs- bzw. Feststellungsverfahren einer Behörde steht am Ende ein Bescheid. Als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung ist die FUK eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und damit auch eine Behörde. Inhalt ihrer Bescheide können die Anerkennung oder die Ablehnung einer Verletzung als Arbeitsunfall sein. Die Gewährung oder Ablehnung einer Versichertenrente werden ebenfalls wie die Höhe per Bescheid bekannt gegeben. Auch bei Todesfällen erfolgt über die Gewährung von Hinterbliebenenrenten ein Bescheid durch die FUK.

Grafik zum Widerspruchsverfahren
Die Entscheidung der Verwaltung wird in jedem Fall überprüft: entweder vom Rentenausschuss, dem Widerspruchsausschuss und zuletzt von den Sozialgerichten | Grafik: Lutz Kettenbeil

Der Rentenausschuss kontrolliert

In der Regel werden die Bescheide von der Verwaltung vorbereitet, entschieden wird jedoch vom Rentenausschuss der jeweiligen FUK. Damit es auch fair zugeht, ist der Ausschuss paritätisch mit Vertretern der Städte und Gemeinden als Kostenträger und mit Feuerwehrleuten als Vertreter der Versicherten besetzt. Hier wird über jeden Unfall individuell beraten und entschieden. Wenn also noch Beratungsbedarf besteht, muss die Verwaltung erneut tätig werden und unter Umständen weitere Gutachten einholen, bevor ein Bescheid an den oder die Versicherte ergeht.

Widerspruch als Rechtsmittel

Auch die Entscheidung des Rentenausschusses ist nicht unanfechtbar. Mit einem Widerspruch kann innerhalb einer Frist von vier Wochen die Entscheidung in Frage gestellt werden. Allerdings ist der Widerspruch auch zu begründen. Haben Verwaltung oder der Gutachter etwas übersehen, beginnt das Feststellungsverfahren erneut zu laufen. Entweder wird dem Widerspruch abgeholfen oder es bleibt bei der ersten Entscheidung. Darüber entscheidet ein gesonderter Widerspruchsausschuss der jeweiligen FUK in anderer personeller Besetzung als der Rentenausschuss. Gegen den Widerspruchsbescheid, kann mit einer Klage vor dem zuständigen Sozialgericht das zweite Rechtsmittel eingelegt werden. Übrigens ist die Klage vor dem Sozialgericht für den Kläger bzw. die Klägerin kostenfrei.

Ansicht

Die Selbstverwaltung entscheidet

Richtig ist, dass das Sozialgesetzbuch (SGB) VII den Rahmen für die Leistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung vorgibt. Dennoch hat die Selbstverwaltung jeder Feuerwehr-Unfallkasse die Möglichkeit, auf Umfang und Höhe bestimmter Leistungen Einfluss zu nehmen. Dies gilt übrigens auch für die Servicequalität des Unfallversicherungsträgers. Denn die Vertreterversammlung entscheidet nicht nur über die Satzung, sondern auch über den Haushalt und den Stellenplan. Schließlich haben die Versicherten einen Rechtsanspruch darauf, dass die ihnen zustehenden Leistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und zügig erbracht werden (§ 17 SGB I).

Die paritätisch und ehrenamtlich besetzten Entscheidungsgremien Vorstand und Vertreterversammlung entscheiden beispielsweise über die Höhe des Mindest-Jahresarbeitsverdienstes, die Mehrleistungen während der Rehabilitation und über die Höhe der Mehrleistungen zu den Versicherten- und Hinterbliebenenrenten. Wichtig: Dies gilt auch für einmalige Kapitalzahlungen bei dauernden Gesundheitsschäden oder in Todesfällen. Über diese Leistungen wird auch ein Stück Wertschätzung für den ehrenamtlichen Dienst in der Feuerwehr vom Versicherungsträger und damit von den Gemeinden erbracht. Diese Möglichkeit sollte auch in Zukunft erhalten bleiben.

Damit es bei den Entscheidungen der Feuerwehr-Unfallkasse auch fair zugeht, ist es richtig, dass die Selbstverwaltung die Mitglieder der Renten- und Widerspruchsausschüsse wählt.

Klaus Brodführer, Bürgermeister der Stadt Schleusingen

Klaus Brodführer, Bürgermeister der Stadt Schleusingen, Foto: Stadt Schleusingen

Drei Fragen an…

Privat-Dozent Dr. med. Tesch, Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin, Hamburg

FUK-DIALOG: Herr Dr. Tesch, als Facharzt erstatten Sie der HFUK Nord gelegentlich Gutachten zum Ursachenzusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden oder zur Höhe der Erwerbsminderung. Sind sie dabei vollkommen frei in ihrer Meinungsbildung?

Dr. med. Tesch: Was das Verhältnis zur HFUK Nord angeht, ja. Sie ist nicht mein einziger Auftraggeber. Die Gutachtertätigkeit ist auch eher ein Randgebiet. Frei bin ich allerdings nicht in der nachvollziehbaren Ergebnisfindung. Sie muss schon ärztlichen und wissenschaftlichen Maßstäben standhalten. Also stehen für mich die ärztliche Sorgfalt und meine Erfahrung im Vordergrund der Bewertung.

FUK-DIALOG: „Wes‘ Brot ich ess, des‘ Lied ich sing“. Dieser Unterton, gilt nicht für Sie als Gutachter?

Dr. med. Tesch: Nein. Im Übrigen – so meine Erfahrung – ist auch die Feuerwehr-Unfallkasse an einer objektiven und fachlich einwandfreien Einschätzung des Gesundheitsschadens und möglicher Therapien interessiert. Auch müssen Versicherungsträger und Gutachter jederzeit damit rechnen, dass andere Fachärzte hinzugezogen oder gar Gerichte über Inhalt und Ergebnis des Gutachtens entscheiden. So genannte Gefälligkeitsgutachten wären katastrophal. Nein, hier muss objektiv gewertet werden.

FUK-DIALOG: Landläufige Auffassung ist: Drei Ärzte, drei Meinungen. Sehen Sie das auch so?

Dr. med. Tesch: Nicht immer und nicht so pauschal. Der Unterschied könnte im tatsächlichen Informationsstand liegen. Hinzu kommt, wann und von wem die Frage nach dem Gesundheitsschaden gestellt wird. Dem aufnehmenden Arzt, dem behandelnden Arzt oder dem gutachtenden Arzt? Es gibt hier schon verschiedene Sichtweisen, wenn es aber um den Unfall-Zusammenhang geht, gibt es mittlerweile klare Richtlinien, wie die Ursachen zu bewerten sind.

Privatdozent Dr. med. Christian Tesch

Privatdozent Dr. med. Christian Tesch | Foto: Lars Frank