Feuerwehr-Unfallkassen bieten Hilfen für die Praxis
Ran an die Gefährdungsbeurteilung
Beim Feuerwehrdienst gab es einen Unfall: Eine Kameradin und ein Kamerad sind vor dem Feuerwehrhaus zusammengestoßen. Beide waren nach einer Alarmierung auf dem Weg in den Einsatz. Direkt am Parkplatz ist es dann passiert - PKW gegen Fahrrad. Trauriges Ergebnis: Ein gebrochener Arm, Platz- und Schürfwunden und zwei geschockte Feuerwehrangehörige. Bleibt die Frage nach der Ursache – und was getan werden kann, um solch einen Unfall zukünftig zu vermeiden? Welche wichtige Rolle dabei die Gefährdungsbeurteilung spielt, erklären wir in diesem Heft.
Warum entstehen Unfälle wie in unserem Beispiel? Unfälle ergeben sich aus Gefahrenquellen wie z.B. einer potenziellen Situation oder einem Objekt. Gefahrenquellen können verschiedene Ursachen haben, wie z.B. menschliches Versagen, technische Defekte, oder werden bedingt durch gefährliche Eigenschaften wie eine scharfe Kante oder eine heiße Oberfläche. In unserem Beispielfall waren es Verkehrswege, die sich kreuzen – die Wege, die Feuerwehrangehörige im selben Moment zurücklegen, um nach einem Alarm mit dem Fahrrad und dem PKW die jeweiligen Abstellplätze am Feuerwehrhaus anzufahren. Nach einer Alarmierung ist in der Regel Eile geboten. Doch der Kopf ist eigentlich schon längst beim bevorstehenden Einsatz. Wie schnell kann es dann gehen, man übersieht sich gegenseitig und schon kracht es…
Gesetzliche Verpflichtung
Wer Gefahrenquellen wie in diesem Beispiel mit kreuzenden Verkehrswegen kennt bzw. erkennt, kann zielgerichtet dagegen vorgehen und etwas für die Unfallverhütung unternehmen. Hierbei hilft die Gefährdungsbeurteilung. Diese ist auch für den Feuerwehrdienst Pflicht. In der Verantwortung für die Umsetzung steht die Stadt bzw. Gemeinde als Trägerin des Brandschutzes.
Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung werden Gefährdungen bzw. Gefahrenquellen ermittelt und Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten festgelegt. Das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) fordert, Gefahren „an ihrer Quelle zu bekämpfen“ (§ 4 Nr. 2 ArbSchG). Neben dieser Vorschrift ergibt sich auch aus der Unfallverhütungsvorschrift „Feuerwehren“ (DGUV V 49) die Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung: „… der Unternehmer hat Gefährdungen im Feuerwehrdienst zu ermitteln und erforderliche Maßnahmen für Sicherheit und Gesundheitsschutz für alle Feuerwehrangehörigen zu treffen.“ Klare Sache also, da muss etwas passieren.
Gefährdungsbeurteilung: Alltagsgeschäft bei der Feuerwehr
Aber Moment mal, da war doch was… Ist die Gefährdungsbeurteilung nicht das Alltagsgeschäft in der Feuerwehr? Jedem Einsatz liegt eine Gefährdungsbeurteilung zu Grunde, die nach einem feststehenden Schema abgearbeitet wird. Mit der FwDV 100 ist der Feuerwehr die systematische Erfassung und Bewertung von Gefährdungen in die Wiege gelegt. Dem Führungsvorgang mit Lagefeststellung, Planung und Befehlsgebung liegen die Erkenntnisse und die Beurteilung der Gefahren für Menschen, Tiere und Sachwerte zu Grunde. Anschließend folgen die erneute Lagefeststellung und Kontrolle. Eine gelebte und dynamische Gefährdungsbeurteilung ist damit tägliche Praxis in den Feuerwehren.
Was im Einsatz gilt und funktioniert, stellt auch allgemein im Dienst die Grundlage für sichere und gesunde Arbeitsbedingungen in den Feuerwehren dar. Eine Gefährdungsbeurteilung ist auch im allgemeinen Dienstbetrieb eine Pflicht. Die Gefährdungen im Feuerwehrdienst sind systematisch zu ermitteln und alle relevanten Gefährdungen zu bewerten. Daraus sind die für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz aller Feuerwehrangehörigen erforderlichen Maßnahmen abzuleiten. Alle Maßnahmen müssen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit überprüft und gegebenenfalls angepasst werden.
„Die systematische Gefährdungsbeurteilung bietet die optimale Gelegenheit, Dinge festzustellen und zu ändern, die Feuerwehrangehörigen im allgemeinen Dienstbetrieb gefährlich werden können.“
Zurück zum Unfallbeispiel vom Anfang: Was wäre gewesen, wenn die Kreuzungssituation der anrückenden Feuerwehrangehörigen als mögliche Gefahrenquelle im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung erkannt worden wäre?
Zur Beseitigung von Mängeln hat sich im Arbeitsschutz das sogenannte (S-)T-O-P-Prinzip etabliert. Das S steht für Substitution, d.h. beispielsweise wird ein gefährlicher Stoff durch einen weniger gefährlichen ersetzt.
Weiterführende Schutzmaßnahmen werden dann zunächst auf technischer (T) Ebene getroffen, da diese die größte Reichweite haben und das größte Maß an Sicherheit herstellen. Sind technische Maßnahmen nicht oder nicht sofort möglich, folgen organisatorische (O) und personenbezogene (P) Maßnahmen.
Mit Hilfe technischer oder organisatorischer Maßnahmen wäre einfache Abhilfe möglich: Als technische Lösung könnte für den Fahrradständer am Feuerwehrhaus ein anderer Platz gefunden werden, damit anrückende Feuerwehrangehörige mit dem Fahrrad nicht direkt die Wege der motorisierten Fahrzeugen kreuzen. Denkbar wären auch eine bauliche Trennung oder eine Markierung des Fahrradweges. Als organisatorische Maßnahme käme die regelmäßige Unterweisung zum unfallfreien Anfahren des Feuerwehrhauses im Alarmfall in Betracht. In dieser Unterweisung können die unterschiedlichen Anrückewege beim Einsatz thematisiert werden.
Mängel werden immer wieder festgestellt
Soweit Theorie, Rechtslage und Praxis. Die Anwendung aus dem „Alltagsgeschäft“ Einsatz ins „allgemeine Feuerwehrleben“ zu übertragen, fällt offenbar nicht immer leicht. Deutliche Hinweise darauf ergeben sich aus Unfalluntersuchungen der Feuerwehr-Unfallkassen sowie den Um- und Zuständen, welche die Aufsichtspersonen bei Besichtigungen von Feuerwehren vor Ort antreffen. Angefangen bei einfachen Dingen, die in einer Gefährdungsbeurteilung abgehandelt werden, wie der Organisation von Sicherheits- und Gesundheitsschutz im Feuerwehrbetrieb, werden immer wieder Mängel festgestellt. Beispiele: Erste-Hilfe-Materialien wie Verbandkästen fehlen oder sind unvollständig, regelmäßige Prüfungen an Elektrogeräten und -einrichtungen finden nicht statt. Beim Rundgang durch das Feuerwehrhaus sind Regale nicht standfest, Verkehrswege verstellt, Gefahrstoffe falsch gelagert usw.
Dafür bietet die systematische Gefährdungsbeurteilung die optimale Gelegenheit, Dinge festzustellen und zu ändern, die Feuerwehrangehörigen im allgemeinen Dienstbetrieb gefährlich werden können. Genauso wie der Führungskreislauf, der im Einsatz angewandt wird, lebt sie als System: Regelmäßig wird der Ist-Zustand überprüft und gegebenenfalls gehandelt bzw. angepasst. Somit ist die Gefährdungsbeurteilung alles andere als trockenes Dokumentieren von Gegebenheiten.
Nur muss es letztendlich gemacht werden – und auch wenn es in den Feuerwehren verbreitet ist, dass sich Feuerwehrangehörige mit entsprechender Fachkenntnis der Aufgabe annehmen, verbleibt die Verantwortung für die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung bei der Stadt bzw. Gemeinde als Trägerin der Feuerwehr. Von dort muss die entsprechende Unterstützung erfolgen, wenn es um die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung geht. Die sicherheitstechnische Betreuung der Gemeinde, die z.B. durch eine Fachkraft für Arbeitssicherheit erfolgt, muss gegebenenfalls auf die Feuerwehr ausgeweitet werden.
Hilfen für die Praxis
Ohne Hilfsmittel geht es nicht. Dafür bieten die Feuerwehr-Unfallkassen und deren Dachverband, die DGUV, zahlreiche Medien an. Die Zeiten des „Papierkrams“ sind dabei längst vorbei. Eine digitale, für Feuerwehren kostenlose und mittlerweile sehr bekannte Arbeitshilfe ist das Programm „Riskoo“, das von den Feuerwehr-Unfallkassen HFUK Nord, FUK Mitte und FUK Brandenburg angeboten wird. „Riskoo“ enthält verschiedene Module und wird regelmäßig ergänzt und erweitert.
Unter https://www.riskoo.de/gefaehrdungsbeurteilung-feuerwehren steht das Programm zur Verfügung. Bisher wurden im Programm „Riskoo“ folgende Module angeboten:
Modul 1: Organisation von Sicherheit und Gesundheitsschutz
Modul 2: Feuerwehrhaus
Modul 3: Feuerwehrübungen
Modul 4: Psychische Belastung im Feuerwehrdienst
Erst kürzlich hat das Programm ein weiteres Modul erhalten. Neu ist der „Einsatz an und auf Gewässern“ – ein Thema, welches viele Feuerwehren betrifft. Mit dem neuen Modul steht den Feuerwehren somit ein fünftes Modul zur Verfügung, welches hilft, die Sicherheit bei Einsätzen an und auf Gewässern zu verbessern. In gewohnter Weise können Fragen durchgegangen werden und mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden. Werden Fragen mit „nein“ beantwortet, besteht Handlungsbedarf.
Ein weiteres sinnvolles Hilfsmittel ist eine Schrift der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), dem Dachverband aller gesetzlichen Unfallversicherungsträger: Die DGUV Information 205-021 trägt die Bezeichnung „Leitfaden zur Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung im Feuerwehrdienst“. In der Broschüre werden anschaulich und leicht nachvollziehbar die einzelnen Schritte der Gefährdungsbeurteilung erklärt. Mit der enthaltenen Vorlage können die verantwortlichen Personen Schritt für Schritt die Gefährdungsbeurteilung durchführen und erfüllen gleichzeitig ihre Pflicht der schriftlichen Dokumentation. Die Broschüre ist herunterladbar oder als Druckausgabe bei der zuständigen Feuerwehr-Unfallkasse erhältlich.
Fazit: Gute Sache statt lästiges Übel
Wenn gelegentlich von unbeliebten Pflichten im Feuerwehrdienst gesprochen wird, so wird oft der Dokumentationsaufwand von Dingen genannt. Dokumentationspflichten gibt es auch im Arbeitsschutz, und so haftet auch der Gefährdungsbeurteilung im Feuerwehrdienst in mancher Hinsicht der Charme des lästigen Übels an. Machen wir uns klar: Vorschriften und Pflichten sind das Eine, es geht aber letztendlich um die Sicherheit und den Erhalt der Gesundheit der Feuerwehrangehörigen! So wie im Beispiel am Anfang, wo möglicherweise von vornherein durch eine sachgerechte Betrachtung der örtlichen Gegebenheiten ein schlimmer Unfall hätte verhindert werden können.
Ran an die Gefährdungsbeurteilung! Sie ist als zentrale Maßnahme des Arbeits- und Gesundheitsschutzes im Feuerwehrdienst eine gute Sache. Im Einsatz ist sie selbstverständlich – und so sollte es generell im Feuerwehrdienst sein.
Riskoo – Online Programm zur Gefährdungsbeurteilung im Feuerwehrdienst
https://www.riskoo.de/gefaehrdungsbeurteilung-feuerwehren
DGUV Information 205-021 „Leitfaden zur Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung im Feuerwehrdienst“
https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/870
Ansicht
Gefährdungsbeurteilung? Logisch!
Wir tun es täglich und routiniert im Einsatz: Wir erfassen Gefahren systematisch und bewerten sie. Im Ergebnis legen wir Einsatzziele und -strategien fest. Erreicht werden soll immer der maximale Einsatzerfolg. Zu diesem Erfolg gehört der größtmögliche Schutz der Sicherheit und Gesundheit aller: Der zu rettenden Personen und der eingesetzten Feuerwehrangehörigen. Logisch!
Diese Sichtweise muss auf den gesamten Feuerwehrdienst übertragen werden. Dies ist logisch und folgerichtig, denn schließlich ereignen sich nicht einmal die Hälfte der Unfälle bei Einsätzen. Gefahren können ganz vielfältig in unserem allgemeinen Dienstbetrieb lauern: Am Feuerwehrhaus, in der Werkstatt, beim Anlegen von Übungen oder Dienst an und auf Gewässern, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Nicht immer sind die Unfallverhütungsmaßnahmen z.B. am und im Gerätehaus umgesetzt. Die Aufsichtspersonen der Feuerwehr-Unfallkassen schauen bei ihren Besichtigungen genau hin. Und das ist gut so, denn gefährliche Mängel werden immer wieder aufgedeckt.
Die Feuerwehr-Unfallkassen unterstützen bei der Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung. Dafür werden Materialien in Unterschiedlicher Form bereitgestellt, als digitale Anwendung und in verschiedenen weiteren Medien. Verantwortlich für die Erstellung der Gefährdungsbeurteilung ist die Trägerin des Brandschutzes. Am besten funktioniert es dort, wo Feuerwehr und Stadt bzw. Gemeinde eng zusammenarbeiten, um diese Aufgabe zum Erfolg zu bringen. Hier mal ein Beispiel: Während die Feuerwehr fachlich zuarbeitet, wird von der Gemeindeverwaltung der Dokumentationsaufwand übernommen und sie überwacht, dass die erforderlichen Maßnahmen in die Wege geleitet werden. Diese Arbeitserleichterung kommt besonders den ehrenamtlich tätigen Feuerwehrangehörigen in unseren freiwilligen Feuerwehren entgegen.
Gemeinsames Ziel ist die Sicherheit unserer Feuerwehrangehörigen. Die Gefährdungsbeurteilung, ob im Einsatz oder im übrigen Feuerwehrdienst, leistet einen fundamental wichtigen Beitrag, dieses Ziel zu erreichen. Logisch!