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Rehabilitation nach schwerem Feuerwehr-Unfall

„Ich habe nie den Mut verloren“

Bild: Christian Heinz / HFUK Nord

Svenja Bertschat ist Feuerwehrfrau mit Leib und Seele. Im Sommer 2018 verunglückte sie mit einem Löschfahrzeug auf der Alarmfahrt zu einem Einsatz schwer. Es gab mehrere verletzte Kameradinnen und Kameraden, darunter Svenja Bertschat. Trotz schwerer Verletzungen kämpfte sie sich zurück ins leben, den Beruf und das Ehrenamt Feuerwehr. Heute ist sie Wehrführerin der 134-köpfigen Truppe der Freiwilligen Feuerwehr Heiligenhafen, davon 84 aktive Feuerwehrangehörige. Wir haben Svenja Bertschat am Feuerwehrhaus der Ostseestadt getroffen und mit ihr über ihren Unfall und ihren Weg danach gesprochen.

Heiligenhafen liegt in Schleswig-Holstein direkt am Meer. Die Feuerwehr verfügt über 13 Fahrzeuge, rückt im Schnitt 240-mal im Jahr aus und sie hat seit April 2023 eine Wehrführerin – Svenja Bertschat. „Ohne meinen Unfall wäre ich nicht Wehrführerin geworden“, sagt sie selbst über ihre Funktion. Doch es war kein einfacher Weg nach dem schweren Feuerwehr-Unfall im Jahr 2018, den Svenja Bertschat zu bewältigen hatte.

Berufliche Reha als besondere Herausforderung

Eine besondere Herausforderung war neben der medizinischen Heilbehandlung die berufliche Rehabilitation. Nachdem alle Heilbehandlungsmaßnahmen abgeschlossen waren, war es nicht möglich, dass Svenja Bertschat ihre berufliche Tätigkeit in der Pflege wie vor dem Unfall fortführen konnte. Welche Leistungen zur Rehabilitation nach diesem Unfall durch die Feuerwehr-Unfallkasse erbracht wurden, wird später in diesem Beitrag erläutert. An dieser Stelle möchten wir aus der Praxis berichten und haben mit Svenja Bertschat gesprochen. In einem Interview mit dem FUK-Dialog berichtet sie über ihre Erfahrungen.

Frau Bertschat, hatten Sie vor Ihrem schweren Unfall auf irgendeine Art und Weise schon mal Berührung mit der Feuerwehr-Unfallkasse – kannten Sie die FUK überhaupt?

Ja. Die FUK war mir bekannt. Ein Kollege der Präventionsabteilung war zur Besichtigung des Feuerwehrhauses schon bei uns in Heiligenhafen vor Ort und wir haben auch eine Versichertenkarte 1) erhalten.

Mal abgesehen von der Feuerwehr – wie sah Ihr Alltag vor Ihrem Unfall im Feuerwehrdienst aus?

Mein Mann und ich haben zwei Söhne. Die Feuerwehr spielte in unserem Leben eine große Rolle. Unsere Söhne wurden schon im Kinderwagen mit zum Feuerwehrdienst genommen. Gearbeitet habe ich in einer Klinik und als Nebentätigkeit bei einem Pflegedienst hier vor Ort. Ich hatte aber schon gekündigt, denn am 1. August 2018 wollte ich beruflich in der Diakonie neu durchstarten.

Unfalltag war der 30.07.2018. Vor der Alarmierung, was haben Sie da gemacht?

Ich hatte gerade meinen letzten Nachtdienst in der Klinik hinter mir. Kurze Zeit später kam die Alarmierung.

Sie saßen im Einsatzfahrzeug. Das Fahrzeug war mit Sondersignal auf der Fahrt zum Einsatzort. Können Sie sich an den Unfallhergang erinnern?

Alles, was ich über den Unfall weiß, ist aus den Erzählungen der anderen. Unser Löschgruppenfahrzeug stürzte nach einem Zusammenprall mit einem PKW auf die Seite. Eigene Erinnerungen daran habe ich nicht.

Wann haben Sie das erste Mal realisiert, dass Sie schwer verletzt sind?

Noch am selben Abend, in der Uniklinik Lübeck, wusste ich, was los war. Aber bis ich alles vollständig realisiert hatte, ist wohl eine Woche vergangen.

Bild: Jürgen Kalweit / HFUK Nord; Das verunfallte Löschgruppenfahrzeug, in dem Svenja Bertschat mit ihren Kameradinnen und Kameraden auf dem Weg zu einem Einsatz saß.

Welche Gedanken gingen Ihnen durch den Kopf?

Ich kann Arme und Beine noch bewegen. Das war wichtig und hat mich beruhigt.

Um die Kinder musste ich mir keine Sorgen machen. Mein Mann hat einen verständnisvollen Arbeitgeber, der ihn freistellte, obwohl auch er erst vor vier Wochen dort angefangen hatte. Auch die Familie, Freunde und Nachbarn haben uns unterstützt. Die Feuerwehrkameradinnen und -kameraden waren auch für mich da.

Ich brauchte mir während der ganzen Zeit keine Gedanken machen und konnte mich voll auf die Genesung konzentrieren. Wir haben von allen Seiten große Unterstützung erhalten.

Wie wurden Sie medizinisch versorgt?

Nach der Akutversorgung einschließlich OP in Lübeck, kam ich ins BG-Unfallkrankenhaus nach Hamburg. Hier wurde ich dann noch dreimal operiert. Im Rahmen der stationären Behandlung wurde auch eine KSR (komplexe stationäre Rehabilitation 2)) durchgeführt.

Der Unfall ereignete sich am 30.07.2018. Am 01.08.2018 wollten Sie eine neue Arbeitsstelle antreten. Auch wenn ein Unfall zu jedem Zeitpunkt schlecht ist, in diesem Fall hätte der Zeitpunkt nicht schlechter sein können. Welche Befürchtungen hatten Sie und konnten Ihnen diese Befürchtungen genommen werden?

Meine Hand wird nicht wieder voll einsetzbar sein, das stand ziemlich schnell fest, auch wenn das Ausmaß der Verletzungsfolgen noch nicht absehbar war. Alles andere wird wieder. Damit stand aber auch fest, dass ich meinen neuen Job bei der Diakonie erst gar nicht antreten kann.

„Ich brauchte mir während der ganzen Zeit keine Gedanken machen und konnte mich voll auf die Genesung konzentrieren.“

Das klingt ja gar nicht gut. Haben Sie da nicht Angst vor der Zukunft bekommen?

So schnell lass ich mich nicht unterkriegen. Auf der Reha-Station habe ich Menschen gesehen, die waren viel schlimmer dran. Außerdem bekam ich von allen Seiten Hilfe und Unterstützung. Die Feuerwehr-Unfallkasse hat sich oft bei mir gemeldet. Ich konnte mich auch jederzeit dort melden, wenn ich Fragen hatte. Selbst die Diakonie, bei der ich meine Arbeit gar nicht mehr antreten konnte, hat mich unterstützt.

Bild: Christian Heinz / HFUK Nord; Svenja Bertschat ist heute Wehrführerin der 134-köpfigen Truppe der Freiwilligen Feuerwehr Heiligenhafen an der Ostsee.

Sie haben eine Umschulung zur Leiterin einer Pflegeeinheit gemacht. Wie kam es dazu?

Schwere körperliche Arbeit, wie sie im Pflegedienst üblich ist, war mit meiner Hand nicht mehr möglich. Schon in der Arbeitstherapie im Unfallkrankenhaus in Hamburg haben wir uns Gedanken gemacht, welche Tätigkeiten für mich noch in Frage kommen. Der Berufshelfer der HFUK Nord, Martin Bekeschus, hatte frühzeitig Kontakt mit mir aufgenommen, so dass ich wusste, es geht auch beruflich weiter.

Die Inhaberin des Pflegedienstes „Die Biene“ wollte expandieren. Wir kannten uns auch schon von meiner Nebentätigkeit. Als sie von meiner Misere hörte, wollte sie mich unterstützen und schuf eine neue Stelle. Dazu musste ich mich aber noch qualifizieren. Herr Bekeschus sagte dann: „Kein Problem, ich kümmere mich drum“. Und so war es auch. Ich machte berufsbegleitend eine zweijährige Fortbildung als Assistenz zur Pflegedienstleitung. Das ist nun mein Job und er macht mir Spaß. Ich bin zwar nicht mehr direkt in der Pflege tätig, aber sehr nahe dran.

Berufliche Rehabilitation – gesetzlicher Auftrag der Unfallversicherung

Arbeitsunfälle sind trotz aller Präventionsmaßnahmen nicht immer zu verhindern, das gilt auch für den Feuerwehrdienst. Zum Glück sind es oft Fälle, die keine dauerhaften Folgen hinterlassen, und nach der Heilbe-handlung ist alles wie vor dem Unfall.

Bei schweren Unfällen kann es trotz aller Bemühungen sein, dass ein Dauerschaden verbleibt, der Auswirkungen auf den persönlichen oder den Arbeitsalltag hat. Für diese Fälle gibt es bei den gesetzlichen Unfallversicherungsträgern mit den Reha-Managerinnen und -Managern sowie den Berufshelferinnen und Berufshelfern speziell qualifizierte Menschen, die den Versicherten eng zur Seite stehen und gemeinsam nach Möglichkeiten und Lösungen suchen, so dass eine berufliche Tätigkeit wieder ausgeübt werden kann.

Grundsätzlich gilt in der gesetzlichen Unfallversicherung, dass die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit mit allen geeigneten Mitteln wiederherzustellen ist (§ 1, Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB 7)). Weiterführende Leistungen können im Rahmen der Teilhabe erbracht werden. Die §§ 35 bis 44 bilden die Grundlage für die Berufshilfe und das Reha-Management.

Berufliche Teilhabe

Die gesetzliche Unfallversicherung unterstützt die berufliche Teilhabe beispielsweise durch Maßnahmen zur Berufsfindung, Arbeitserprobung, berufliche Bildungsmaßnahmen und Eingliederungszuschüsse sowie die Hilfe bei der Suche nach einem geeigneten Arbeitsplatz.

Ganzheitliche Rehabilitation

Die gesetzliche Unfallversicherung verfolgt eine ganzheitliche Rehabilitation, die nicht nur die medizinische Rehabilitation und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben umfasst, sondern auch Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.

Diese Leistungen zur sozialen Teilhabe tragen dazu bei, Menschen, die durch Arbeitsunfälle oder Berufskrankheiten beeinträchtigt sind, bei der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu unterstützen. Dazu gehören beispielsweise Kraftfahrzeughilfe, Wohnungshilfe, Rehabilitationssport, Unterstützung durch Peers, nachgehende Betreuung und Erholungsaufenthalte.

Für ausführliche Informationen gibt es den Handlungsleitfaden „Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in der gesetzlichen Unfallversicherung“: https://publikationen.dguv.de/widgets/ pdf/download/article/4456

Sie sind Angehörige der Freiwilligen Feuerwehr Heiligenhafen. Wie eingangs geschildert, sind Sie Feuerwehrfrau mit Leib und Seele. Aber der aktive Feuerwehrdienst ist insbesondere auch körperlich sehr fordernd. Wie ging es hier weiter?

Vor dem Unfall war ich Einsatzkraft, als Atemschutzgeräteträgerin und allem Drum und Dran. Das war mit meiner Verletzung nicht mehr möglich. Als in unserer Wehr eine neue Wehrführung gesucht wurde, wurde ich gefragt, ob das nicht was für mich wäre.

Naja, das ist schon ein großer Schritt. Außerdem benötigt man dafür auch eine weiterführende Qualifizierung. Große Bedenken hatte ich bei der praktischen Ausbildung, denn eigentlich kann man die mit meiner verletzten Hand gar nicht machen. Aber auch hier wurde ich nicht alleine gelassen. Der Kreiswehrführer, Michael Hasselmann, hat sich an der Landesfeuerwehrschule Schleswig-Holstein dafür eingesetzt, dass ich trotz meiner Verletzung für den Lehrgang zugelassen wurde. Das Ergebnis kennen Sie, ich bin seit 1. April 2023 Wehrführerin.

Bild: Christian Heinz / HFUK Nord; Reha-Manager und Abteilungsleiter Jan-Florian Kröger (links) und Berufshelfer Martin Bekeschus begleiteten FUK-seitig eng den Reha-Fortschritt von Svenja Bertschat.

So im Rückblick auf Ihren Unfall, was können Sie aus heutiger Sicht dazu sagen?

Der Unfall war wirklich ein einschneidendes Ereignis in meinem Leben. Es ist nicht so einfach, damit fertig zu werden. Trotzdem habe ich nie den Mut verloren. Denn ich hatte Hilfe und Unterstützung und zwar von allen Seiten. Freunde, Familie, alte und neue Arbeitgeber, insbesondere die Kameradinnen und Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr Heiligenhafen, der Kreiswehrführer, die Landesfeuerwehrschule, alle waren für mich da. Natürlich war die qualitativ hochwertige medizinische Versorgung im Unfallkrankenhaus ausschlaggebend dafür, dass fast alle Unfallfolgen vollständig ausgeheilt sind. Nicht zuletzt hat auch die Feuerwehr-Unfallkasse alles dafür getan, dass ich heute da bin, wo ich bin. Sie hat dafür gesorgt, dass ich keine finanziellen Einbußen hatte. Hat mich während der medizinischen Reha eng begleitet. Auf alle Fragen gab es schnell eine Rückmeldung. Durch die Berufshilfe der HFUK Nord war es möglich, dass ich mich sogar beruflich qualifizieren konnte. Abgesehen vom Unfall selbst, besser hätte es nicht laufen können.

Frau Bertschat, wir danken Ihnen, dass Sie sich für uns Zeit genommen haben. Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Spaß bei Ihrer beruflichen Tätigkeit, viel Erfolg als Wehrführerin einer so großen freiwilligen Feuerwehr und natürlich auch im privaten Leben.

Ansicht

Michael Hasselmann, Kreiswehrführer Kreisfeuerwehr-verband Ostholstein

Michael Hasselmann, Kreiswehrführer Kreisfeuerwehrverband Ostholstein (Bild: Michael Hasselmann)

Das Schicksal der Kameradin Bertschat hat mich berührt. Aber auch ihre Zielstrebigkeit. Svenja Bertschat ist jetzt Wehrführerin.

Auch wenn eine Menge für die Prävention getan wird, der Feuerwehrdienst birgt vielfältige Unfallgefahren. Für mich als Kreiswehrführer stellen sich nach einem Unfall erste Fragen: Wie schwer ist die Verletzung? Ist die Kameradin oder der Kamerad optimal ärztlich versorgt? Ein kurzes Telefonat mit der FUK kann hier schon Abhilfe schaffen und ich kann mich davon überzeugen, dass alles läuft.

„Die FUK ist mir dabei eine große Stütze, damit sich um alles gekümmert wird und die Kameradin wieder fest im Leben steht.“

Leider ist es nicht in jedem Fall möglich, dass mit Abschluss der medizinischen Versorgung auch wieder alles wieder so ist, wie vor dem Unfall. Da stellt sich schon die Frage, können der Dachdecker oder die Schornsteinfegerin wieder aufs Dach steigen? Was passiert, wenn das Bein oder die Schulter steif bleiben?

Natürlich kann auch ich nach meinen Möglichkeiten unterstützen. Im Fall von Svenja Bertschat konnte ich mich an der Landesfeuerwehrschule dafür einsetzen, dass sie trotz ihrer Verletzung die erforderlichen Lehrgänge absolvieren kann, um Wehrführerin zu werden.

Durch den engen Kontakt zu ihr und als aktives Mitglied der Feuerwehr Heiligenhafen wusste ich zudem, dass sie medizinisch bestens versorgt ist. Auch finanziell war sie gut abgesichert. Selbst als es darum ging, dass sie ihren Beruf nicht mehr ausüben konnte, griffen die Maßnahmen der Berufshilfe der FUK als Träger der  gesetzlichen Unfallversicherung.

Als Kreiswehrführer trägt man eine große Verantwortung. Die FUK ist mir dabei eine große Stütze, sei es mit ihren Präventionsmaßnahmen oder wie in diesem Fall, dass sich um alles gekümmert wird und die Kameradin Bertschat nun mit beiden Beinen wieder fest im Leben steht. Das was uns die FUK auf Schulungsveranstaltungen und Seminaren über ihre Leistungen berichtet, erfolgt so auch in der Praxis. Darauf kann ich mich verlassen.

Reha-Management und Berufshilfe

Reha-Manager und Berufshelfer der gesetzlichen Unfallversicherungsträger unterstützen die Versicherten aktiv bei ihrer medizinischen, beruflichen und sozialen Rehabilitation. Berufshelfer sind für die Planung, Koordinierung und Begleitung der Rehabilitation und aller Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft zuständig, die nach einem Unfallversicherungsfall notwendig sind.

1) Die Versichertenkarte ist ein Nachweis, den Feuerwehr-Angehörige in Arztpraxen und Krankenhäusern vorlegen können. Sie enthält das Institutionskennzeichen und die Anschrift in diesem Fall der HFUK Nord sowie Verhaltensregeln nach einem Unfall im Feuerwehrdienst.

2) Die KSR (Komplexe Stationäre Rehabilitation) ist eine spezielle Form der stationären Rehabilitation, die als Leistung der gesetzlichen Unfallversicherung angeboten wird. Sie wird bei schweren Unfallverletzungen eingesetzt, die eine intensive und langwierige Rehabilitation erfordern.